Wir können uns vorstellen, dass eine Biene nur einen winzigen Teil des Biens ausmacht, im bildlichen Vergleich wie ein Haar auf unserem Kopf. An diesem Haar können wir jedoch das Individuum allein nicht erkennen, hierfür brauchen wir viel mehr. So ist ein Bien nicht an einer Biene erkennbar, sondern erst, wenn dieser in seiner Gesamtheit mit all seinen einzelnen Bestandteilen (wie bei uns Haar, Kopf, Körper, Gliedmaßen) erkannt wird.
Den Organismus Bien kann man auch daran erkennen, dass keine der Bienen alleine überlebensfähig ist. Weder die Königin noch die Arbeiterinnen noch die Drohnen. Der Bien kann nie auf die Arbeiterinnen und die Königin verzichten, im Winter kommen sie jedoch ohne Drohnen aus. Damit die Königin befruchtete Eier für die Arbeiterinnen legen kann, braucht sie Drohnen.
Diese wiederum sind abhängig von den Arbeiterinnen, diese wiederum abhängig von der Königin, da nur die Königin befruchtete Eier legt und das Volk durch ihre Pheromone zusammenhält. So schließt sich der Kreislauf. Man kann beobachten, dass der Bien zum Beispiel in einer Futterkrise immer als ganzer hungert. Wenn es nur noch wenig Futter gibt, wird dieses gleichmäßig an alle verteilt, jede Biene bekommt einen kleinen Teil vom letzten Rest der Nahrung, bis diese aufgebraucht ist. Kommt es zum Verhungern, sterben alle zusammen. Die Erfahrung, die wir im Sommerhalbjahr mit unseren Bienen sammeln dürfen, zeigt uns immer wieder in den unterschiedlichsten Situationen, wie wir einem Individuum gegenüberstehen. Allein schon der Blick in ein Volk kann nur ein Blick auf das Ganze sein.
Jede Veränderung durch uns, die Umwelt oder die Bienen selbst, betrifft das ganze Volk.
Seeley schreibt in seinem Buch „Bienendemokratie“ (2014, S. 36) Folgendes: „Ein Honigbienenvolk ist […] weit mehr als nur eine Ansammlung von Individuen: Es ist ein zusammengesetztes Lebewesen, das als integriertes Ganzes funktioniert. Man kann sich eine solche Kolonie durchaus als ein einziges lebendes Gebilde vorstellen […].“ Eine interessante Betrachtung ist vor allem der Vergleich der Bienen mit dem menschlichen Gehirn.
Seeley stellte fest, dass eine Schwarmtraube ungefähr 1,5 Kilogramm wiegt, genau so viel wie auch die Neuronen im menschlichen Gehirn. Die Bienen erlangen durch eine Einheit, die sich aus mehreren Individuen niederer Ordnung zusammensetzt, eine kollektive Intelligenz und weisen in ihren Entscheidungen, zum Beispiel auf der Suche nach einem Nistplatz, Ähnlichkeiten mit den Vorgängen auf, die auch bei Entscheidungen eines Affen in dessen Gehirn passieren.
»Die Seele des Bienenstocks ist keine gewöhnliche Gruppenseele, sondern ein besonderes Wesen für sich.« Rudolf Steiner
Nicht nur Seeley stellt Vergleiche der Bienen zum menschlichen Gehirn an. Auch Rudolf Steiner beschreibt in seinen Arbeitervorträgen Ähnlichkeiten der Bienen mit denen unserer Nervenzellen. Die Bienen werden als einzelne Zellen betrachtet. Er äußert, dass die Funktionalität im Zusammenspiel von Arbeiterinnen, Drohnen und Königin mit dem Zusammenspiel von Nervenzellen (Drohnen), Blutzellen (Arbeiterinnen) und Eiweißzellen (Königin) zu vergleichen sei.
Auszug aus dem Buch "Ökologische Bienenhaltung - Die Orientierung am Bien"