Besonders im Herbst, wenn die gelb-gefärbten Blätter fallen und im Wald den Himmel freigeben, sieht man das dunkle kräftige Grün des Efeus, das die Stämme mancher Bäume fast bis zur Krone bedeckt. Bis zu 20 Meter Höhe kann der Kletterstrauch dank seiner Haftwurzeln erreichen. Die sonst eher unscheinbare Pflanze rückt nun als Himmelsleiter (Helix = Spirale) in den Vordergrund und zeigt die grüne Kraft der Natur auch in der Winterzeit. Ihr ledrig-glattes Blattwerk verbreitet einen eher düsteren und morbiden Charme und weckt sofort Bilder von verwilderten Gärten, überwucherten Ruinen und alten Steinmauern, Orte die etwas Archaisches, der Zeit enthobenes ausstrahlen. Auf Friedhöfen wird die Symbolik des ewigen Lebens und der Unsterblichkeit, die Efeu zugeschrieben wird am deutlichsten. Aber auch in der Liebe und in der Freundschaft sollten Efeukränze in vielen volkstümlichen Bräuchen das ewige und überdauernde Band versinnbildlichen, oder als Liebeszauber helfen, den Ehepartner zu finden.
Der gemeine Efeu
Der gemeine Efeu ist in Mitteleuropa der einzige Vertreter der Araliengewächse (der Ginseng ein asiatischer Verwandter). Die urzeitlichen Lianen entstammen der Kreidezeit und haben bereits vor 100 Millionen Jahren existiert, als sich die Alpen bildeten und sich Riesenechsen und erste Säugetiere in den Wäldern bewegten. Spannend an diesem lebenden Fossil ist auch sein unterschiedliches Erscheinungsbild: An nichtblühenden Trieben sind die Blätter drei- oder fünf-lappig geformt, am Blütentrieb hingegen rhombisch bis oval. Erst im September beginnt er seine Blüten zu öffnen und im Winter reifen dann die schwarzen Beerenfrüchte.
Efeu als Kulturgut
Seine antizyklische Natur gibt dem Efeu einen besonderen Platz im Jahreskreislauf wie auch in vielen Kulturen, wo er übergreifend sein großes Symbolpotential entfaltet hat. So schmückt er zusammen mit Weinranken den Thyrsosstab des griechischen Gottes Dionysos, auch Knissos (Efeugott) genannt, der im Winter den Sonnengott Apollon ablöste und mit seiner bunten Gefolgschaft die Orakelstätte Delphi übernahm. Mit Efeu bekränzt und weingefüllten Pokalen feierten die gefürchteten Mänaden in dionysischer Besessenheit ausgelassen die Fruchtbarkeit in Form des schöpferischen Chaos und der wilden Natur. Die immergrünen Ranken, im Volksmund auch Epich, Eppig, Ewigheu genannt, die als vegetabile Schlangen gedeutet wurden, waren auch bei den Kelten dem Grünen Mann geweiht, und schmückten zusammen mit Mistel und Stechpalme um die Wintersonnenwende Häuser und heilige Plätze.
Die Kraft des Efeu
Da der Efeu bevorzugt an Störzonen wie Wasseradern oder Erdverwerfungen wächst, wird ihm auch schädigenden Einfluss auf den Menschen nachgesagt. So soll man sich nicht allzu lange in seinem Umfeld aufhalten, und auch ins Haus gebracht, wurde er abergläubisch als Unglück gedeutet. Vermutlich aus demselben Grund setzte man ihn aber auch als Lebenselixier und kräftigendes Tonikum bei Schwächezuständen ein. Der Efeu ist als giftig eingestuft, insbesondere die Beeren, da die darin enthaltenen Saponine mit dem Cholesterin der Zellwände reagieren und so Magen-Darm-Störungen, Erbrechen sowie erhöhten Puls verursachen können. In kontrollierter Dosis und zeitlich begrenzt können insbesondere die jungen hellgrünen Blätter heilwirksam angewendet werden. Dieselben Saponine wirken schleimlösend bei Bronchitis, die enthaltenen Flavonoide wirken krampflösend, etwa bei Asthma und heftigem Husten. Auch als Hühneraugenkraut bezeichnet, sollen frisch zerstoßene Blätter auf betroffene Stelle aufgebracht helfen.
Blüten und Insekten
Eine Efeupflanze blüht erst, wenn sie etwa zehn Jahre alt ist, und entwickelt dann kugelförmige Dolden mit bis zu 30 Einzelblüten. Die grünlich-gelben Blüten fallen durch ihren charakteristischen, süßlich-morbiden Duft auf, der Bienen, Wespen, Schwebfliegen und Schmetterlinge, aber auch Aasfliegen anlockt, um ihre Bestäubung zu sichern. Seine besondere Bedeutung für Insekten liegt an der späten Blütezeit, die teilweise bis in den November hineinreicht, und somit eine der sehr wenigen Nahrungsquellen in dieser Jahreszeit bereitstellt. Eine ganz besonders enge Beziehung zum Efeu pflegt die Efeu-Seidenbiene, die ihre Larven ausschließlich mit Pollen dieser Gattung füttert und deren Fortpflanzung daher von deren Vorkommen abhängt (diese sogenannte Monolektie ist ein starkes Beispiel dafür, wie direkt manche Arten miteinander verzahnt sind und der Verlust der einen, den Verlust einer anderen zur Folge hat). Ihre Brutzellen befinden sich tief im Erdboden, und sind mit einer Schicht aus erhärtendem Speichel seidig ausgekleidet. Diese Eigenheit verleiht den Seidenbienen ihren Namen, nicht die dichte und glänzende Behaarung, die diese Wildbiene ebenso auszeichnet.
Ob magisch oder botanisch betrachtet – die Efeupflanze, deren Wurzeln sie in der Erde verankern aber auch in den Himmel streben lassen, ist ein Ort für Tiere und Geister gleichermaßen und erinnert uns an die chthonische Urkraft der Natur, der wir alle entstammen.
Literaturhinweise:
- Wolf-Dieter Storl: Die Pflanzen der Kelten. Heilkunde-Pflanzenzauber-Baumkalender, Vollst. Taschenbuchausgabe, Knaur Mens-Sana, München 2010
- Coco Burckhardt: 12 Heilpflanzen und ihre Geschichten. Märchen, Mythen, Medizin, Verlag Eugen Ulmer, Stuttgart 2018
- Siegrid Hirsch und Felix Grünberger: Die Kräuter in meinem Garten, 22. Aufl., Freya Verlag, Engerwitzdorf/Mittertreffling 2019
- Heiko Bellmann und Matthias Helb: Bienen, Wespen, Ameisen, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart 2017
Hinweis zur Ko-Autorenschaft: Dieser Artikel wurde vor längerer Zeit von Miriam Geisler verfasst und im Jahr 2022 von Matthieu-Marlon Dulkies überarbeitet. Miriam Geisler war von November 2019 bis Februar 2020 im proBiene-Team.