Es summt und brummt nicht mehr. Der Blick auf den Zustand und die Zahl der Arten in Baden-Württemberg zeigt: Es ist ein langer und mühsamer Weg bis zum Muster-Ländle in Sachen Artenvielfalt.
Die Biologin Rachel Carson hat im Jahr 1962 mit ihrem Buch „Der stumme Frühling“ viele Menschen wachgerüttelt. Es war die Dystopie einer durch Artensterben immer stilleren Umwelt. Mehr als 50 Jahre später muss man sagen: Was damals von Carson als Warnung gedacht war, ist heute Wirklichkeit. Das Artensterben hat ein Ausmaß angenommen, das systemverändernd wirken kann. Der Weltbiodiversitätsrat warnt vor dem größten Artensterben seit dem Verschwinden der Dinosaurier. Mehr als eine Millionen Arten weltweit sind derzeit vom Aussterben bedroht.
Zunächst war da der Blick auf die Roten Listen für das Land. In den Roten Listen ist der Gefährdungsgrad von Arten aufgeführt. Dabei sind mir die Tränen gekommen. Die Aufstellung kann man als Schatten verstehen, der von einem Horror-Szenario vorausgeworfen wird. Der Blick darauf wirft schwere Fragen auf:
- Welche Arten und wundervolle Lebewesen werden nie mehr in Erscheinung treten?
- Wie werden wir langfristig Lebensmittel herstellen?
- Wie wird die Welt unserer Kinder und Enkel aussehen?
Im Laufe der vergangenen Monaten hat sich aus dem noch eher abstrakten Schatten, den die Roten Listen werfen, ein sehr konkretes ökologisches Horrorszenario entwickelt. Denn während die Roten Listen eher grundsätzlich beschreiben, welche Art gefährdet ist und verschwinden könnte, sind in den vergangenen Monaten zahlreiche Studien erschienen, die ganz praktisch und konkret einzelne Arten in Baden-Württemberg gezählt haben. Und das Ergebnis ist, man kann es nicht anders sagen, alarmierend: Das Artensterben im Ländle ist ganz real.
Das Artensterben ist bereits konkret vor Ort
Beispiel Bodensee: Amsel, Drossel, Fink und Star – am Bodensee wäre die Vogelschar aus dem bekannten Kinderlied heute viel kleiner als noch vor 40 Jahren: Lebten 1980 am Bodensee noch rund 465.000 Brutpaare, waren es 2012 nur noch 345.000 – ein Verlust von 25 Prozent. Dies ist das Ergebnis einer Studie von Wissenschaftlern der Ornithologischen Arbeitsgruppe Bodensee und des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie. Einst häufige Vogelarten wie Haussperling, Amsel oder Star sind besonders stark zurückgegangen. Viele weitere Arten kommen nur noch in geringen, oft nicht mehr überlebensfähigen Populationen und an immer weniger Orten rund um den Bodensee vor. Eine ähnliche Entwicklung befürchten die Forscher auch in anderen Regionen Deutschlands.
Am Bodensee ist sie besonders dramatisch, weil kaum ein anderer Landstrich in Baden-Württemberg so komplett durch verschiedene Schutzgebiete abgedeckt ist. Offenbar schützen diese Schutzgebiete aber nicht. Warum? Nun, die Max-Planck-Forscher haben einen Verdacht. Denn die intensive Landwirtschaft ist bisher von fast allen Regeln in Schutzgebieten ausgenommen. Und genau die Folgen dieser intensiven Landwirtschat – Pestizideinsatz, Monokulturen, verarmte Landschaften – machen die Forscher für das Verschwinden der Vögel verantwortlich.
Beispiel Schwäbische Alb: Rund ein Drittel der Insektenarten, die es vor zehn Jahren noch im Biosphärengebiet Schwäbische Alb gab, ist verschwunden. Entsprechende Zahlen haben Forscher der Uni Ulm und der Technischen Universität München veröffentlicht. Sie untersuchen seit mehr als zehn Jahren im Biosphärengebiet rund um Münsingen, wie sich der Bestand an Käfern, Spinnentieren, Heuschrecken und Wanzen entwickelt. Sie sind mit Netzen und Fallen auf Wiesen und Wäldern unterwegs, unter anderem zwischen Ehingen, Westerheim, Münsingen und Reutlingen. Dabei sammelten sie bisher Daten von mehr als einer Million Gliederfüßern, zu denen auch Insekten und Spinnen gehören. Die Vielfalt der Arten sei um etwa ein Drittel zurückgegangen, diese Zahl sei erschreckend, so die Initiatoren des Projekts. Die genaue Ursache für den Artenschwund sei noch nicht bekannt. Die Forscher vermuten allerdings, dass intensive Landwirtschaft auch die Entwicklungen im Biosphärengebiet beeinflussen könnte.
Beispiel Schmetterlingssterben: Eine Studie belegt das Schmetterlingssterben speziell in Baden-Württemberg. Karlsruher Wissenschaftler haben dafür Daten bis ins 18. Jahrhundert zurückverfolgt. Die Forscher haben Aufzeichnungen über Schmetterlinge seit dem Jahr 1750 ausgewertet. In ihrer Studie stellen die Forscher fest, dass die Zahl der Arten zwar weitgehend gleichgeblieben ist – nur sechs von 163 sind wirklich ausgestorben – dass aber die Häufigkeit drastisch abgenommen hat. Insbesondere seit den 1950er Jahren sei das der Fall, nach der Umstellung der Landnutzung nach dem Krieg. In den vergangenen beiden Jahrzehnten habe sich der Prozess noch einmal verschärft.
Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Aber schon diese Beispiele zeigen das ganze Ausmaß des Dramas. Es geht nun nicht nur darum, ob wir einzelne Arten in Zukunft noch finden können. Es geht essentiell darum, ob wir zukünftig noch leben können. Vor allem für Lebensmittel braucht es eine Vielfalt an Arten. Beispielsweise tragen gerade Insekten durch Bestäubung und Bodenaufbereitung maßgeblich dazu bei, dass wir viele Lebensmittel überhaupt gewinnen können.
Ökologische Landwirtschaft ist der Schlüssel
Die ökologische Landwirtschaft spielt hier eine Schlüsselrolle und bietet große Chancen, uns nachhaltig zu ernähren. Auch wenn im Biolandbau noch Potenziale zu heben sind und Bestrebungen der Intensivierung negative Folgen haben kann. So dürfen zum Beispiel keine chemisch-synthetischen Mittel verwendet werden – das schließt Ackergifte grundsätzlich aus. Der Verzicht auf mineralische Stickstoffdünger, flächengebundene Tierhaltung und der limitierte Zukauf von Futtermitteln sorgt zudem für einen schonenderen Umgang mit den ökologischen Kreisläufen. Die Artenvielfalt auf ökologische bewirtschafteten Flächen ist im Schnitt 30 Prozent höher, es sind 50 Prozent mehr Individuen vorhanden, im Vergleich zu konventionell bewirtschafteten Flächen (Bengtsson 2005).
Die kleine und zugleich große Klimaaktivistin Greta Thunberg, hat in diesem Jahr den Satz gesagt: „Denn wenn wir es nicht schaffen, sind alle Errungenschaften und Fortschritte umsonst gewesen.“ Dieser Satz hallt mir noch sehr nach, denn neben dem Klimawandel ist der Verlust der Biodiversität der größte Brennpunkt, wenn es um unsere Lebensgrundlagen für die Zukunft geht.
Nun, mehr als 50 Jahre nach Carsons stillem Frühling steht der „der laute Frühling“ an. Die Zeit wachsenden Protests. Unser Volksbegehren ist ein erster Schritt auf diesem Weg. Weitere werden und müssen folgen. Sonst wird er für immer stumm bleiben. Lasst uns laut werden, damit die Zukunft summt und brummt!