Neonicotinoide – Wunderwaffe Nervengift? 

An sich erwecken die bunten Kügelchen den Eindruck von der Süßigkeit Liebesperlen, mit Liebe haben sie allerdings gar nichts am Hut. Im Gegenteil: Es handelt sich hierbei um mit Neonicotinoiden gebeiztes Zuckerrübensaatgut. Also um unschuldige Rübensamen, ummantelt mit einem hochwirksamen Nervengift.

Eine Wunderwaffe?

Das erste Insektizid mit Neonicotinoiden, kurz Neonics, kam 1991 auf den Markt. Das vermeintliche Potential des Stoffes wurde schnell erkannt und es wurden weitere Präparate entwickelt. Unter vielen Landwirt*innen galten Neonics als Wunderwaffe: Sie versprachen eine hohe insektizide Wirksamkeit und seien zudem unbedenklich für Mensch und Bestäuber.

Im Jahre 2008 sollte sich auf dramatische Weise das Gegenteil herausstellen: Am Baden-Württembergischen Oberrhein starben binnen kurzer Zeit rund 12 000 Bienenvölker. Als Ursache sollte sich das Neonic „Clothianidin“ herausstellen. Dieses war von der Firma Bayer Cropscience als Beizmittel für Maispflanzen verwendet worden. Bevor die Samen allerdings im Boden versenkt werden konnten, wurde der Stoff auf benachbarte Äcker geweht und dort von den Bienen aufgenommen. Nun zeigte sich auch hier die insektizide Wirkung und die Bienen verendeten qualvoll.

Tabak für die Bienen

Um die Wirkung von Neonics auf die Biene am eigenen Leib zu erfahren, müssen wir uns nur eine Zigarette anzünden. Neonics sind nämlich nichts anderes als veränderte Nikotinmoleküle.
In der Tabakpflanze fungiert das Nikotin als natürliches Insektenschutzmittel. Aufgrund seiner stark toxischen Wirkung, auch auf den Menschen, darf Nikotin als solches allerdings nicht als Insektizid verwendet werden. Schließlich wollen wir ja nicht ständig psychoaktive Stoffe zu uns nehmen.
Neonics schienen als die Lösung: Sie entfalten die entsprechende Wirkung nur bei Insekten. Hier verhindern sie den Abbau derer Botenstoffe, die elektrische Signale in den Nervenbahnen auslösen.

Bei kleinen Mengen führt das – wie beim Menschen – zur Entspannung. Umgerechnet auf den Bienenkörper dürften also nur winzigste Mengen an Neonics verwendet werden, um den Bienen nicht zu schaden. Nun werden Neonicotinoide nur leider nicht in winzigen Mengen verwendet. Nehmen Honigbienen eine größere Dosis zu sich, werden sie anfällig für Krankheiten und können sich nicht mehr orientieren. Bei noch größeren Dosen kommt es in den Nervenbahnen zum Dauerreiz, der zu Krämpfen und schließlich zum Tod des Insekts führt. Und wenn wir hier von hohen Dosen sprechen, dann sind 0,000000005 g (also fünf Milliardstel Gramm) gemeint. Zugelassen sind aber 49,5g pro Hektar. Diese Menge würde also ausreichen, um 9,9 Milliarden Bienen zu töten.

Konsequenz ist etwas anderes

Man sollte meinen, dass diese Erkenntnisse ein Verbot von politischer Seite unverzichtbar machen. Dieser blieb aber leider erstmal aus. Unmittelbar nach dem Vorfall am Oberrhein wurde Clothianidin zwar verboten, allerdings nur, um es kurz darauf für unbedenklich zu erklären und wieder zuzulassen. Grundlage für diese Entscheidung war eine von Bayer veranlasste Untersuchung. Wie aussagekräftig diese war, bleibt offen.

Maßnahmen auf EU-Ebene folgen erst 2013, wobei der Einsatz von Neonics auch nur beschränkt wurde.
Erst 2018 einigten sich dann alle EU-Staaten, die Verwendung der Neonics Imidacloprid, Thiamethoxam und Clothianidin zu verbieten. Endgültig ist dieses Verbot allerdings auch nicht, es gibt eine Möglichkeit dieses zu umgehen: Die Notfallzulassung. Diese kann erteilt werden, wenn die Verwendung von Neonicotinoide sich „angesichts einer anders nicht abzuwehrenden Gefahr als notwendig erweist“ (Pestizidverordnung der EU, Artikel 53). Allerdings muss der Schutz für Mensch und Umwelt weiterhin gewährleistet sein. Da Neonics genau diesen Punkt nicht erfüllen konnten und daher verboten wurden, ist hier das Konzept „Notfallzulassung“ eigentlich unnötig.

Kranke Rüben

Dass Theorie und Praxis manchmal weit voneinander entfernt sind, beweist das Beispiel an der Zuckerrübe.
Diese wurde im Jahr 2020 von einem Vergilbungsvirus befallen, welcher dazu führt, dass der Zuckergehalt in den Rüben stark sinkt. So bescherte dieses von Blattläusen übertragene Virus den Landwirt*innen Ertragsausfälle von bis zu 50%.
In Baden-Württemberg beantragte daraufhin die Südzucker AG eine Notfallzulassung für Strakbefallsregionen, um die Läuse von den Rüben fernzuhalten. So durfte Sie vom 1. Januar bis 30. April 2021 im Rheingraben, in Kraichgau, in Unterland, in Strohgäu, in Hohenlohe, im Oberen Gäu und in der Tauberregion mit Thiamethoxam gebeiztes Zuckerrübensaatgut verstreuen. Insgesamt sind allein in BW 12.000 Hektar Fläche betroffen. Da auch in anderen Bundesländern Notfallzulassungen genehmigt wurden, kommt man in ganz Deutschland insgesamt auf 126.900 Hektar betroffene Fläche (Verteilung auf Bundesländer s. Grafik). Zur Erinnerung: Die Neonics auf einem Hektar können 9,9 Milliarden Bienen töten. Auf 126.900 Hektar sind das dann 12,5 Billiarden(!) potentiell getötete Bienen.

Schutz durch Auflagen?

Damit das nicht passiert, wurden der Aussaat zum Glück begleitende Auflagen auferlegt. So soll ein Begleitmonitoring sicherstellen, dass der Umwelt keinen Schaden zugefügt wird. Ergebnisse sind bisher noch nicht veröffentlicht.
Eine weitere Auflage war die Entfernung von Beikräutern auf den Rübenäckern. So sollte verhindert werden, dass die Bienen die kontaminierten Felder anflogen. Gegen diese Auflage sind bei Kontrollen leider einige Verstöße festgestellt worden.
Außerdem ist zu ergänzen, dass der behandelte Boden natürlich nicht an Ort und Stelle bleibt. Durch Regenfälle und Überschwemmungen werden „gesunde“ Böden zwangsläufig auch von dem Gift verseucht. Früher oder später wird man nicht mehr genau sagen können, welche Äcker jetzt genau betroffen sind. Und das macht wiederum den Bienenschutz nahezu unmöglich.

Nicht nur die Bienen sind betroffen

Natürlich sind Bienen nicht die einzigen Lebewesen, für die Neonicotinoide gefährlich sind. Selbstverständlich sind auch andere bestäubende Insekten betroffen. Zudem sind logischerweise alle Bodenbewohneden Organismen dem Gift ausgesetzt. Da diese wiederum in der Nahrungskette unter Vögel stehen, sind such diese betroffen. Und vor dem Element Wasser machen Neonics auch keinen Halt: Durch das Ausschwemmen des Stoffes durch Regenfälle gelangt dieser in Gewässer und gefährdet auch Wasserbewohner.

Alternative Wege

Die Sache ist die: Es geht auch anders. Aufgrund der kühleren Witterung waren die Lauspopulationen dieses Jahr ohnehin nicht so stark wie im Vorjahr. Dazu kann man auch eine lausresistentere Rübensorte pflanzen und in der Standortwahl so variieren, dass es die Läuse ungemütlich haben. Durch eine verstärkte Ackerhygiene beugt man dem Lausbefall zusätzlich vor.
Dabei geht die Tübinger Bioland-Erzeugergemeinschaft ReBio mit einem guten Beispiel voran: Seit gut 10 Jahren bauen dort 19 Öko-Bauernhöfe in Baden-Württemberg und Bayern Zuckerrüben nach biologischen Kriterien an. Es kann also auch anders funktionieren!

Im nächsten Jahr nochmal?

Alternativen wie diese erkennen viele Rübenbäuer*innen allerdings nicht an. So wurde für das Jahr 2022 ebenfalls eine Notfallzulassung beantragt. Aus Sicht des Artenschutzes ist das sehr bedenklich. Schließlich steht der Einsatz solcher Pestizide im starken Wiederspruch zum Artenschutzgesetz wie z. B. in Baden-Württemberg, welches dort vorsieht, den Einsatz von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln bis 2030 um mindestens 30% zu reduzieren. Und wenn das Verbot der EU jedes Jahr durch eine Notfallzulassung umgangen wird, kann dieses Ziel nicht erreicht werden.
proBiene hat deshalb Landwirtschaftsminister Hauk und Umweltministerin Walker mittels eines Briefes aufgefordert, das selbst geschaffene Probleme umgehend anzugehen. Außerdem engagiert sich proBiene einem Aktionsbündnis mit Bayrischen und Pfälzer Imkerkollegen.
Schließlich sind viele Bienen sind schon durch die natürlichen Bedingungen geschwächt, zusätzliche Belastungen durch Pestizide würden sie nicht vertragen.

Der Druck auf die Politik hat nun Wirkung gezeigt: Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit hat den erneuten Antrag nun abgelehnt. Als Grund wurde offiziell unter anderem das geringe Lausaufkommen in diesem Jahr genannt.

Fazit

Neonics sind Nervengifte, die bei jeglicher Anwendung weitreichende Folgen für unser Ökosystem haben werden. Natürlich sind potentielle Ertragsverluste für Landwirt*innen problematisch. Aber ist es richtig, dieses Problem zu lösen in dem man in Kauf nimmt muss, dass es zu Massensterben bei den Insekten kommen könnte? Bio-Bauern zeigen heute schon, dass es ohne Pestizide geht.

Einen weiteren Artikel zum Pestizid Glyphosat aus unserem Blog findest du hier.

 

Quellen:

https://baden-wuerttemberg.nabu.de/news/2021/januar/29248.html

https://www.gruene-boeblingen.de/fileadmin/gruene-boeblingen/Dokumente/2021/Antwort_MLR_9752_Neonicotinoide.pdf

https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/heilbronn/zuckerrueben-notfallzulassung-insektizid-100.html

https://www.bvl.bund.de/SharedDocs/Fokusmeldungen/04_pflanzenschutzmittel/2021/2021_02_12_fokus_Auswirkungen-von-Neonikotinoiden.html

https://de.wikipedia.org/wiki/Neonicotinoide

https://www.geo.de/magazine/geo-magazin/15815-rtkl-tatort-wiese-pestizide-und-das-ende-unserer-insekten

https://www.ua-bw.de/pub/beitrag.asp?subid=1&Thema_ID=5&ID=2891&Pdf=No&lang=DE

https://www.bund.net/umweltgifte/gefahren-fuer-die-natur/bienen/?utm_term=buttoncHash%25253Df0ff4e90482c5ddf30df944e87132069cHash%25253Dd5c59ae64995cbd3ec728c2ec4c6188c

https://www.welt.de/wissenschaft/article3059605/Ursachen-fuer-mysterioeses-Bienensterben-geklaert.html

https://www.nabu.de/umwelt-und-ressourcen/pestizide/24125.html

https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2018/03/01/wie-wirken-neonicotinoide

https://www.global2000.at/sites/global/files/2019-NeonicsNotfallzulassung-Hintergrundpapier.pdf

https://www.landtag-bw.de/files/live/sites/LTBW/files/dokumente/WP16/Drucksachen/9000/16_9752_D.pdf

https://www.agrarheute.com/pflanze/zuckerrueben/notfallzulassungen-fuer-neonicotinoide-576350

https://www.agrarheute.com/pflanze/zuckerrueben/neonicotinoide-2022-keine-notfallzulassung-fuer-ruebenbeize-cruiser-587297

ZEIT Nr. 44/2021

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ich bin Hannah Kullmann.

Hannah absolviert 2021/2022 bei proBiene ein Freiwilliges Ökologisches Jahr (FÖJ). Sie hat im Jahr 2021 ihr Abitur gemacht, ist naturwissenschaftlich sehr interessiert und sammelt leidenschaftlich gerne tote Insekten für Ihre Sammlung.

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